Endlich! Die erste mehrtägige Wanderung mit Pilgerwagen stand an. Gemeinsam mit meiner Frau ging es an den Ostertagen über die Südroute des Sigwardsweges von Minden (Westfalen) nach Idensen (Niedersachsen). Bis unmittelbar vor Abreise verfolgten wir gespannt die Entwicklung der Auflagen zur Eindämmung des Corona-Virus. Selbstverständlich wollten wir alle Regelungen beachten und auch darüber hinaus weder uns selbst noch andere Menschen einem unnötigen Infektionsrisiko aussetzen. Für unsere Planung bedeutete dies: Statt Hotel oder Campingplatz blieb nur ein Biwak am Wegesrand.

Die Tour in Zahlen und Fakten

Tage: 3 | Personen: 2 | Distanz: 84 km | Höhenmeter: 1.550 m Anstieg, 1.450 m Abstieg | Pilgerwagen-Gewicht: 25 – 30 kg | Übernachtung: Outdoor/ Biwak

Der Weg

Der Sigwardsweg ist ein 2009 eingerichteter Pilgerweg, Namensgeber ist der Bischof Sigward von Minden († 1140). Als Rundweg mit einer Gesamtlänge von 170 km führt er vom Mindener Dom zur Sigwardskirche in Idensen und zurück. Hin- und Rückweg verlaufen über unterschiedliche Strecken. Die von uns gewählte Südroute ist mit offiziell knapp 80 km und 1.500 Höhenmetern im An-/ Abstieg kürzer, aber deutlich profilierter.

Auf der Südroute passierten wir nicht nur 22 Kirchen, Kapellen und Klöster, auch zahlreiche andere Sehenswürdigkeiten sorgten für Abwechselung. Das weithin sichtbare Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Porta Westfalica, Schloss Bückeburg mit seiner Hofreitschule, die Dinosaurierfährten bei Obernkirchen, das Schloss der Adelsfamilie Münchhausen (sicher kennst du den legendären Lügenbaron?) in Apelern und die Kurstädte Bad Eilsen und Bad Nenndorf haben uns besonders gefallen. Zudem verlief unser Weg durch zahlreiche kleine Orte mit mal idyllischem, mal herbem Charme.

Tag 1

Das eigentliche Highlight einer Wanderung ist für uns immer der Weg und die ihn umgebende Natur. Hier bietet die Südroute des Sigwardsweges einige Abwechselung. Minden verlässt man über einen der Weser folgenden Radweg, der auch mit Pilgerwagen ein rasches Vorankommen erlaubt. Es folgt mit dem steilen Anstieg zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal ein harscher Kontrast. Die abschnittsweise ruppigen und wurzeldurchsetzten Trails waren für mich mit Pilgerwagen gerade eben noch machbar. Der sich anschließende Abstieg nach Porta Westfalica fiel – dank guter Bremsen – leicht.

Der folgende Anstieg zur Porta-Kanzel ist steil und führt teilweise über Treppen unterschiedlicher Höhe. Diese Stufen waren mit dem Pilgerwagen nicht mehr fahrend, sondern nur noch tragend zu bewältigen. An dieser Stelle war ich meiner Frau für tragende Unterstützung sehr dankbar. Offen gestanden stellte ich mir hier zum ersten (und einzigen) Mal die Frage, ob ein Pilgerwagen wirklich eine gute Idee ist. Die wenigen anderen Wanderer auf diesem Streckenabschnitt lächelten mitleidig, sie hatten sich zu dieser Frage offensichtlich bereits ein Urteil gebildet.

Die zweite Hälfte der Tagesdistanz war weiter hügelig, überforderte aber weder Pilgerwagen noch seinen Lenker. Der Weg führte uns durch ein großes Waldgebiet, nur unterbrochen von einem kurzen Abstecher durch den Ort Nammen. Gegen Abend passierten wir den Steinbruch Heineberg, der im Licht der untergehenden Sonne eine beeindruckende Kulisse für unser Abendessen bot. Ein auffrischender Wind und die rasant sinkende Temperatur ließen aber wenig Raum für Gemütlichkeit. Schnell zogen wir weiter und richteten bei Kleinenbremen unser Nachtlager ein.

Tag 2

Der zweite Tag begann mit einer flachen Strecke, auf der wir uns warmlaufen konnten. Durch das Naturschutzgebiet „Hofwiesen“ erreichten wir bald Schloss Bückeburg, das uns mit seinem Schlosspark und zahlreichen Nebengebäuden beeindruckte. Es folgten die ersten beiden Anstiege des Tages: Zunächst durch ein Waldgebiet hoch zum Ida-Turm und gleich wieder hinab in den Kurort Bad Eilsen. Nicht zu steil und mit Pilgerwagen gut machbar. Dann durch Wald hoch nach Krainhagen. Hier stellten sich dem Pilgerwagen erneut Treppen und ein kurzer, aber steiler und holperiger Trail entgegen, die wir aber mit den Erfahrungen des Vortages gut meistern konnten. Ab Krainhagen ging es sanft bergab zum Stift Obernkirchen, mal durch Ortslagen, mal durch Wald.

Das letzte Drittel der Strecke verlief durch ein großes Waldgebiet. Dieser Wegabschnitt begann mit dem längsten Anstieg des Tages. Wir sammelten 250 Höhenmeter am Stück, überwiegend auf gut ausgebauten Wegen. Ein kurzer Trail-Abschnitt führte entlang einer stark wurzeldurchsetzen Hangkante. Dort brachte ich, an einer besonders großen Wurzel, den Pilgerwagen zum Kippen, was an einer Hangkante aufgrund der festen Bindung zwischen Wagen und Zugperson nicht ungefährlich ist. Diesmal war ich der helfenden Hand meiner Frau, die Schlimmeres verhinderte, besonders dankbar.

Es folgte ein längerer, nur leicht profilierter Wegabschnitt, auf dem der Pilgerwagen seine Vorteile ausspielen konnte. Selbst die zu diesem Zeitpunkt knapp 30 kg Gewicht, waren kaum zu spüren. Hätten wir diese auf zwei Rucksäcke verteilt, wäre dies ungleich belastender gewesen. Wir passierten noch die Dinosaurierfährten bei Obernkirchen und ein bergbauliches Relikt, einen alten Bremsschacht und schlugen unser zweites Nachtlager auf.

Tag 3

Tag drei begann mit einem längeren, nicht zu steilen Abstieg nach Reinsdorf, der für unsere verkaterten Muskeln, nicht aber für den Pigerwagen, eine Herausforderung war. Am Ortsrand von Reinsdorf frühstückten wir bei bestem Frühlingswetter gemütlich auf einer Bank am Friedhof. Die Aussicht auf Dorf und blühende Rapsfelder ließ uns länger verweilen als geplant. Eilig hatten wir es nicht: Zwar standen rund 32 km auf dem Tagesprogramm, nennenswerte Höhenmeter warteten aber nicht mehr auf uns.

Überwogen bisher Waldgebiete, standen nun Feldwege und Ortslagen auf dem Programm. So liefen wir weiter nach Apelern mit dem Münchhausen Schloss und von dort nach Rodenberg mit seinem Wasserschloss und der Kirche St. Jacobi. In deren Schatten fanden wir Zeit für ein kurzes Mittagsschläfchen.

Von Rodenberg bis Riehe ging es rund 10 km überwiegend durch Städte und Dörfer. Diese waren zwar teilweise durchaus reizvoll, Bad Nenndorf mit seinem Kurpark sogar ein kleiner Höhepunkt, wir waren dennoch froh, als die Umgebung wieder grüner wurde. Nach Haste wanderten wir noch einmal durch ein Waldgebiet. Hier war die Überquerung des Mittellandkanales ein letztes kleines Highlight, bevor wir über Feldwege die Sigwardskirche in Idensen erreichten.

Wetter

Der Wetterbericht versprach Sonne, schloss Regenschauer nicht aus und kündigte zudem große Temperaturunterschiede an. Bei solchen Wetterlagen müssen wir auf Rucksacktouren Kompromisse eingehen, damit der Rucksack nicht zu schwer wird. Dank Pilgerwagen konnten wir Regenkleidung und Wander-Outfits für sehr kühle, aber auch warme Temperaturen mitnehmen. Sogar wärmende Kleidung für die Nacht fand Platz.

Das Wetter hielt sich an die Vorhersage, nur von Regenschauen blieben wird verschont. Für die umfangreiche Kleiderauswahl waren wir sehr dankbar. Erreichten die Höchsttemperaturen am ersten Tag 12 Grad, so kühlte es nachts bis knapp über den Gefrierpunkt ab. Auch beim Räumen des Nachtlagers am zweiten Tag war es kaum wärmer, dann zogen die Temperaturen kräftig an. Am dritten Tag hatten wir weit über 20 Grad und waren froh, auch an Sonnencreme gedacht zu haben.

Übernachtungen

Entlang des Sigwardsweges gibt es unterschiedlichste Unterkünfte: Von Hotels über Pensionen und Campings bis hin zu Jugend-/Pilgerherbergen. Allen gemeinsam war, dass sie corona-bedingt zum Zeitpunkt unserer Wanderung keine Gäste aufnehmen durften. So blieben uns nur nächtliche Biwaks als Alternative: Wir wanderten bis Anbruch der Dunkelheit und richteten uns dann ein einfaches Nachtlager mit Iso-Matte und Schlafsack am Wegesrand ein. Unmittelbar bei Tagesanbruch setzten wir unsere Wanderung fort.

Wir haben Erfahrung mit solchen Biwaks und genießen insbesondere die nächtlichen Geräusche der tierischen Gastgeber. So erholsam wie im heimischen Bett ist eine solche Nacht aber nicht: Der ungeschütze Aufenthalt in ungewohnter Umgebung verhindert ein tiefes Durchschlafen recht zuverlässig.

An-/ Abreise

Bis zum Zielort Idensen fuhren wir mit dem Auto. Von dort ging es mit Bus und Bahn zum Startort Minden. Pilgerwagen und Gepäck ließen sich in unserem Kleinwagen problemlos verstauen. Den Bus teilten wir nur mit dem Fahrer. Ich bekam den Pilgerwagen spielend leicht in den Bus und auch wieder hinaus.

Der Umstieg in die Bahn war ungleich fordernder. Der Bahnhof verfügte zwar über Rampen und Fahrstühle, zu unserem Gleis ging es aber nur per Treppe. Hier war ich für die helfende Hand meiner Frau sehr dankbar. Als zwei Minuten vor Einfahrt angekündigt wurde, dass unser Zug ausnahmsweise von einem anderen Gleis abfährt, galt dies umso mehr. Ein- und Ausstieg in den fast menschenleeren Zug waren auch mit Pilgerwagen einfach. Den Bahnhof in Minden konnten wir erneut nur über eine Treppe verlassen. Solche Erfahrungen schärfen das Bewusstsein für die tagtäglichen Herausforderungen von Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind.

Fazit

Wir haben unsere kleine Wanderreise sehr genossen und empfehlen die Südroute des Sigwardsweges gern weiter. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach Corona, denn viele Sehenswürdigkeiten, aber auch Biergärten und Cafés, waren bei unserer Reise geschlossen.

Unser Pilgerwagen hat seine erste mehrtätige Bewährungsprobe mit Bravour bestanden! Dank des Wagens transportierten wir mehr Gepäck als üblich, waren so für die großen Temperaturunterschiede und die unsicheren Versorgungsmöglichkeiten (Ostern; Corona-Lage) bestens gerüstet. Mit dem Gewicht des Pilgerwagens zog ich insgesamt 25 bis 30 kg. Dies war über weite Strecken sehr angenehm möglich und fiel deutlich leichter als beim Rucksacktransport. Überrascht war ich, wie komfortabel der Pilgerwagen holperige Wegabschnitte bewältigt und sogar kleinere Hindernisse, nicht zu hohe Stufen oder einen umgestürzten Baum, „überfahren“ kann.

Erst wenn Anstiege steiler werden, ist das Wandern mit Pilgerwagen anstregender als mit Rucksack.  Wird das Gelände „technisch anspruchsvoll“, gilt es z. B. hohe und unregelmäßige Stufen zu überwinden, kommt der Pilgerwagen bzw. die Zugperson an seine/ ihre Grenzen. Dies gilt insbesondere auf sehr steilen Wegabschnitten. Erwähnenswert: Mir fiel es von Stunde zu Stunde leichter, den Wagen durch schwierige Abschnitte zu bugsieren, ihn auf Gefällestrecken mit den Bremsen zu kontrollieren. Auch hier macht Übung den Meister.

Es bringt Spaß, mit dem Pilgerwagen unterwegs zu sein, es ist eine andere Art des Wanderns. Er bereichert Wanderungen sowohl durch neue Möglichkeiten als auch durch neue Herausforderungen. Zudem reagieren Menschen stark auf den ungewohnten Anblick. Ich habe fragende Blicke geerntet, wurde nicht selten belächelt. Ganz überwiegend erfuhren wir aber neugieriges Interesse, wurden häufig auf den Pilgerwagen angesprochen und kamen so ins Gespräch. Wir freuen uns auf weitere Begegnungen und Touren. Gern wieder auf dem Sigwardsweg, schließlich will auch die Nordroute noch unter die Räder genommen werden.