Februar 2021. Das ganze Land ist seit Wochen durch den harten Corona-Lockdown wie gelähmt. Mitte Februar, kurz nach einer Kältewelle mit Schnee und zweistelligen Minusgraden, versprach der Wetterfrosch überraschend Sonne und milde Temperaturen. Ehrensache, dass ich diese zur Saisoneröffnung nutze. Ein Lauf mit Pilgerwagen über die volle Länge des Elbe-Seitenkanals sollte es werden. Vom Abzweig am Mittellandkanal nahe Calberlah bis hin zur Mündung in die Elbe bei Artlenburg, mit Übernachtungen direkt am Kanalrand. In drei Tagen 120 km geradeaus. Links der Kanal, rechts plattes Land – verlaufen unmöglich. Langweilig? Lass dich von meinen Bildern und meinem Bericht vom Gegenteil überzeugen!

Mein Bericht besteht aus zwei Teilen:

  • Teil 1: Zunächst biete ich Informationen zum Weg, zu Übernachtungsmöglichkeiten und zur Eignung des Weges für Wanderanhänger. Dieser Teil endet mit einem Fazit.
  • Teil 2: Dann folgt mein „Lauftagebuch“, das ich unmittelbar nach dem Lauf in sozialen Netzwerken veröffentlichte.

TEIL 1: INFORMATIONEN


Die Tour in Zahlen und Fakten

Tage: 3 | Personen: 1 | Distanz: 120 km | Höhenmeter: 100 m Anstieg, 150 m Abstieg | Pilgerwagen-Gewicht: 26 – 30 kg | Übernachtungen: Zelt

Der Weg

Der 115 km lange Elbe-Seitenkanal zweigt nahe Calberlah vom Mittellandkanal ab und mündet bei Artlenburg in die Elbe. Auf beiden Seiten des Kanals verlaufen Servicewege für Instandhaltungsarbeiten, die von Radfahrern und Fußgängern genutzt werden dürfen. Auf dem Papier verspricht ein so geradeaus und so unmittelbar am Kanal verlaufender Weg wenig Abwechselung. Doch das täuscht.

Schon der Kanal selbst bietet einige Highlights: Die Häfen von Wittingen, Uelzen und Lüneburg. Sperrtore, die bei einem Deichbruch das Leerlaufen des Kanals verhindern. Die Schleuse bei Uelzen. Das Schiffshebewerk bei Scharnebeck, das zweitgrößte seiner Art in Europa. Zudem ist der Kanal über weite Strecken als „Dammstrecke“ ausgelegt: Der Kanal ist also auf beiden Seiten von einem Deich umfasst, der Wasserspiegel im Kanal liegt höher als das Umland. Vom Deich aus bieten sich deshalb immer wieder interessante Ansichte auf wechselnde Landschaften.

Auch auf dem Kanal gibt es viel zu sehen: Binnenschiffe unterschiedlichster Bauart, die man mal in Fahrt, mal an Liegestellen bestaunen kann. Nebenbei erhält man erste Eindrücke in Binnenschiffer leben. In der wärmeren Jahreszeit sind sicher auch Sportboote auf dem Kanal unterwegs.

Unmittelbar am Kanal liegen auch zahlreiche Städte, die jeweils eigene Sehenswürdigkeiten bieten. Zu nennen sind hier insbesondere Lüneburg, Uelzen, Bad Bodenteich und Bad Bevensen. Ich habe meinen Lauf vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Regeln als Individualsport-Training ausgelegt und auf Abstecher in diese Städte verzichtet. Einige dieser Städte kenne ich bereits und kann einen Besuch sehr empfehlen.

Landschaftlich haben mich insbesondere die letzten Kilometer zwischen dem Schiffshebewerk und der Mündung in die Elbe sehr begeistert. Eine karge, flache Landschaft, die bei Sonnenschein und blauen Himmel aber in üppiger Farbenpracht erstrahlt.

Eignung für eine Tour mit Pilgerwagen

Die Strecke ist perfekt geeignet für Pilgerwagen-Einsteiger! Die Servicewege an beiden Seiten den Elbe-Seitenkanals sind breit und frei von nennenswerten An-/ Abstiegen. Treppen muss man nur überwinden, falls man vom Kanal aus über eine Kanalbrücke in einen nahegelegenen Ort möchte. Aber selbst dies gilt nur für wenige Abstecher, an vielen Brücken gibt es auch treppenfreie Aufstiege.

Die Oberfläche der Servicewege besteht überwiegend aus befestigtem Erdreich mit mehr oder weniger hohem Sandanteil, sie ist auch mit Wanderanhänger gut zu begehen. Als ich unterwegs war, tauten gerade (für Norddeutschland) größere Schneemengen ab. Der Boden war dadurch etwas weicher, es erforderte etwas mehr Kraft, den Anhänger zu ziehen. Es hatten sich auch einige Pfützen gebildet, man muss aber auch bei Regen keine „Schlammschlacht“ befürchten.

Während meiner Tour an einem ungewöhnlich warmen Wochenende im Februar war auf den Servicewegen wenig Betrieb, über weite Abschnitte hatte ich den Weg für mich allein. In der Nähe der Ortschaften habe ich eine überschaubare Anzahl an Radfahrern, Spaziergängern und Joggern gesehen. Wie voll es in den Sommermonaten wird, kann ich nicht einschätzen. Motorisierte Fahrzeuge sind nicht zugelassen, Ausnahme: Fahrzeuge der Arbeiter, die den Kanal in Schuss halten.

Am Abzweig des Elbeseitenkanals vom Mittellandkanal warnt ein Schild vor vielen Scherben auf dem östlichen Serviceweg und empfiehlt Radfahrern die Nutzung des westlichen Weges. Ich bin dennoch den östlichen Weg gelaufen, kann die erhöhte Scherbendichte bestätigen, bin aber – dank Pannenschutzreifen – problemlos durchgekommen.

Übernachtungen

Aufgrund der Corona-Regeln waren touristische Übernachtungen auf Campingplätzen oder in Hotels nicht möglich. Grundsätzlich gibt es aber eine Reihe von Campingplätzen, die man vom Elbe-Seitenkanal fußläufig gut erreichen kann. Auch Hotels und Pension sind in Kanalnähe gut zu finden.

Bei meiner Tour habe ich in direkter Kanalnähe biwakiert. Die Suche nach Schlafplätzen verlief ausgesprochen unkompliziert, auch in dieser Hinsicht ist die Tour sehr einsteigerfreundlich. Dabei setze ich voraus, dass sich auch Einsteiger vor einer solchen Tour mit den rechtlichen Bestimmung des „Wildcampings“ bzw. „Biwakierens“ beschäftigen sowie die Lage von Schutzgebieten recherchieren

Fazit

Ich kann eine Lauf- oder Wandertour am Elbe-Seitenkanal uneingeschränkt empfehlen. Dies gilt insbesondere für auch für Pilgerwagen-Einsteiger und Einsteiger in Sachen Outdoor-Übernachtungen. Wer sonst bevorzugt auf Single-Trails Höhenmeter sammelt, wird hier durch ungewöhnliche Eindrücke entschädigt.

Es gibt ein solides Angebot an Übernachtungs- und Einkaufsmöglichkeiten, diese sind zu Fuß gut zu erreichen, liegen aber meistens nicht unmittelbar am Kanal. Eine Vorab-Recherche für die Tourenplanung ist deshalb sinnvoll.

Da der Weg fast durchgängig dicht am Kanal verläuft, kann man sich praktisch nicht verlaufen. Spezielle Karten, GPX-Tracks oder ähnliches braucht man nicht: Wer den Weg zum Start bei Calberlah findet, der wird bis zur Mündung in die Elbe keine Orientierungsschwierigkeiten haben.

Mir hat die Tour wirklich sehr gefallen, besonders die Eindrücke, die ich von der Binnenschifffahrt gewonnen habe. Ich werde sicher weitere Wasserstraßen unter die Füße nehmen und kann mir auch vorstellen, den Elbeseitenkanal noch einmal zu laufen.

TEIL 2: WANDERTAGEBUCH


Tag 1, 19.02.21, 46 km

Morgens, halb zehn in Calberlah: Zeit für ein… erstauntes Gesicht. Von einer Brücke blicke ich auf den Abzweig des Elbe-Seitenkanals vom Mittellandkanal. Und sehe: Eisschollen! Jede Menge Eisschollen!

Zu dieser frühen Stunde sind die Temperaturen noch nicht wirklich mild. Fröstelnd schließe ich den Reißverschluss meiner Jacke und beginne meinen Lauf. Nach 300 Metern erreiche ich den Abzweig des Elbe-Seitenkanals, der Weg folgt diesem in einer weit geschwungenen Kurve. Die einzige Kurve der gesamten Strecke.

Laufend verschaffe ich mir einen ersten Überblick: Auf beiden Seiten begleiten Servicewege zur Instandhaltung den Elbe-Seitenkanal, ich entschied mich für den östlichen. Der Untergrund besteht aus verdichtetem Erdreich mit mal mehr, mal weniger hohem Sandanteil. Schlimmer als gelegentliche Schlaglöcher ist, dass der vom Schmelzwasser weiche Boden meinen Pilgerwagen spürbar bremst. Ein Schild warnt Radfahrer vor Scherben auf dem gesamten Wegeverlauf. Dies glitzern grün und weiß im Sonnenlicht, ich bin für meine Pannenschutzreifen dankbar und hoffe, dass sie ihrem Namen gerecht werden. Als sich deshalb besorgte Gedanken einschleichen wollen, richte ich den Blick nach vorn. Weit nach vorn, denn es geht – wie erwartet – geradeaus.

Der Kanal ist fast vollständig mit großen Eisschollen bedeckt. Ein faszinierender Anblick, so dass ich schon nach wenigen Metern eine Fotopause einlege. Ich hatte mich auf Binnenschiffe gefreut – und während ich mich noch Frage, ob der Kanal aktuell passierbar ist – biegt hinter mir ein Schiff vom Mittellandkanal ab. Die „Stadt Lindenfels“ pflügt mit Kraft durch das Eis, der Anblick und die Geräuschkulisse sind beeindruckend.

Ich blicke ihr hinterher, verstaue meine Ausrüstung und trabe an. Überrascht stelle ich fest, dass mein Lauftempo geringfügig schneller ist als die Fahrt der „Stadt Lindenfels“. Ich mache Boden gut, begleite das Schiff eine Weile. Gerate unbemerkt in den „Race-Modus“ und setze mich ab. Knapp 20 km dauert unser Match, dann bemerke ich: Ich bin viel zu schnell unterwegs, das hohe Tempo und der weiche Boden haben meine Beine schwer werden lassen. Ich brauche eine Pause. Und während ich mich stärke, stampft die „Stadt Lindenfels“ an mir vorbei durchs Eis. Hinter dem Glas der Schiffsbrücke glaube ich ein Lächeln zu entdecken. „Ok Käpt’n, du hast gewonnen!“.

Frisch gestärkt mache ich mich auf den Weg, zahle weiterhin Tribut für mein verlorenes Rennen in Form von häufigen Pausen. Nebenbei verfalle ich dem Charme des Kanals. Bei blauem Himmel entsteht ein beeindruckendes Farbenspiel. Ich liebe es, die unterschiedlichen Binnenschiffe anzuschauen, auf weitere Rennen lasse ich mich nicht mehr ein. Bei Wittingen erreiche ich den ersten Kanalhafen, mein Weg führt mich direkt über das Hafengelände. Treibstoff und Gas lagert dort, teils in hohen Türmen. Ich hoffe, dass diese nicht gerade heute, nicht gerade jetzt explodieren.

Bald habe ich die Marathondistanz von 42 km – und damit mein Tagespensum – geschafft. Ich gönne mir noch vier gemütliche Wander-Kilometer, errichte dann mein Nachtbiwak am Kanalrand. Mit der untergehenden Sonne wird es sehr schnell, sehr frisch. Ich ziehe mir trockene Sachen an und krieche ohne Abendessen in meinen Schlafsack. Bei dem Gedanken „Was für ein schöner erster Tag!“, falle ich in den Schlaf.

Tag 2, 20.02.21, 44 km

Die Nacht war frisch, ich habe unruhig geschlafen. Für ein Frühstück ist es zu kalt, schnell die Ausrüstung im Anhänger verstaut und weiter geht’s. Die ersten Meter sind zäh, dann finde ich meinen Rhythmus. Trotz der Belastung am Vortag, sind meine Beine überraschend frisch.

Kilometer um Kilometer geht es voran. Ich genieße den Blick auf die verschiedenen Schiffe und wechselnden Landschaften. Auf der anderen Kanalseite entdecke ich einen Mini-Wohnwagen, offensichtlich bin ich nicht der einzige, der ungewöhnliche Übernachtungen schätzt. Ich passiere den Kurort Bad Bodenteich und freue mich, dass es hier am Kanal eine asphaltierte Promenade gibt, auf der mein Pilgerwagen leichter rollt.

Ich überhole zwei Frauen, die flotten Schrittes Meter machen. Aus ihrem Rucksack schallt Musik. Anhand zahlreicher Aufnäher erkenne ich, dass die beiden Sportwanderinnen sind, die sich mehrfach an Langdistanzen von 100 km wagten. Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, dass sie am kommenden Wochenende an einem virtuellen Wanderevent teilnehmen: Dabei gilt es, in 48 Stunden so weit wie möglich zu wandern. Ich bin beeindruckt: Zwar laufe ich gerne lange Distanzen, wandernd sind mir 30 bis 40 km aber genug. Ich wünsche Erfolg und setze mich ab.

Wenig später entdecke ich in der Ferne die Uelzener Doppelschleuse. Ein Schiff wartet auf die Schleusung, bei der satte 23 Höhenmeter überwunden werden. Ich beschließe, dort zu frühstücken und hoffe, die Schleusung beobachten zu können. Mich der Schleuse nähernd, erkenne ich überrascht, dass nicht nur ich nach dem anstrengenden Rennen eine nächtliche Pause eingelegt habe: Vor mir steht die „Stadt Lindenfels“.

Mit provozierender Geduld liegt sie da, während ich wieder in den Renn-Modus zu driften drohe: „Wenn du aufs Frühstück verzichtest, könntest du einen Vorsprung von mindestens…“. Aber ich bleibe vernünftig und gönne mir eine ausgiebige Pause. Die beiden Sportwanderinnen schließen zu mir auf, wir nutzen die Gelegenheit für einen Langdistanz-Erfahrungsaustausch. 15 Tageskilometer sind geschafft, mindestens 27 km habe ich noch vor mir. So mache ich mich wieder auf den Weg. Und stelle – mit einer mir unerklärlichen Genugtuung fest – dass die „Stadt Lindenfels“ noch immer auf ihre Schleusung wartet.

In Uelzen umlaufe ich die beiden Häfen und staune darüber, dass man Sportbooten im Gegensatz zu Binnenschiffen kaltes Wasser nicht zumutet: Alle Boote stehen neben statt im Hafenbecken. Ich passiere weitere der insgesamt 55 Brücken, die den Kanal überqueren. Übrigens: An 14 Stellen kann man den Elbe-Seitenkanal auch unterqueren, der 965 Meter lange Elbe-Seitenkanal-Tunnel ist sogar der längste Eisenbahn-Tunnel Norddeutschlands. Imposant, aber gesehen habe ich ihn nicht;-)

Das heute deutlich mildere Wetter genießend, passiere ich Bad Bevensen, einen weiteren Kurort. Hier komme ich mit einer alten Dame ins Gespräch. Sie lässt sich detailliert erklären, welche Strecke ich laufe, wo ich übernachte, welche Ausrüstung ich mitführe. Und fragt mich voller Unverständnis: „Warum machen Sie das?“ Erst als ich ihr mehrfach versichere, dass mich niemand zwingt, ich glücklich verheiratet und nicht auf der Flucht bin, sondern mir solche Unternehmungen Freude bereiten, zieht sie erleichtert weiter. Ich auch.

Wenig später entdecke ich in der Dämmerung eine alte Bekannte: Vielleicht als ich die Uelzener Häfen umrundete, schlich sich die „Stadt Lindenfels“ hinterrücks an mir vorbei und machte hier für die Nacht fest. Da ich in Führung liegend nächtigen möchte, laufe ich noch ein Stück und suche mir mein zweites Nachtbiwak. Über weite Strecken fließt der Kanal in einem Deichbett, der Wasserspiegel ist höher als das Umland. So kann ich von meinem Schlafplatz aus die Führerstände der vorbeifahrenden Schiffe sehen. Beim Gedanken, ob die „Lindi“ wohl versucht, sich im Schutze der Nacht einen Vorsprung zu erschleichen, falle ich in den Schlaf.

Tag 3, 21.02.21, 29 km

Nach einem milden Abend sind die Temperaturen in der zweiten Nachthälfte gefallen. Ein unruhiger Traum – irgendetwas mit einem über dem Umland liegenden Wasserspiegel und einem gebrochenen Deich – kostete ebenfalls Schlafqualität. Dennoch startete ich bei Tagesanbruch voller Tatendrang meinen Lauf. Wie gestern, musste das Frühstück temperaturbedingt warten. Wie gestern, fand ich auch heute schnell meinen Rhythmus und freute mich über immer noch überraschend frische Beine.

In den ersten Tagesstunden war ich der einzige Mensch, der auf dem östlichen Serviceweg unterwegs war. Auf dem westlichen Serviceweg herrschte dagegen rege Betriebsamkeit. Dies lag einerseits daran, dass ich mich Lüneburg näherte. Wichtiger war aber wohl, dass mein Weg von einem dichten Wald beschattet wurde, während die Herrschaften auf der anderen Seite bereits die wärmende Sonne genossen. Auf Höhe von Lüneburg entdeckte ich endlich eine kleine, sonnenbeschienene Lichtung, mit einem ca. 50 Zentimeter hoch gemauertem Gully. Diesen erklärte ich kurzerhand zu meinem „Sitz-Tisch“ und genoss ein sonniges Frühstück – irritierte Blicke einiger Passanten geflissentlich ignorierend.

Im Laufe des Morgens hatte sich ein Problem eingeschlichen: Obwohl ich weisungsgemäß bei wirklich jeder Sitzpause eine Isolierung untergelegt hatte, hatte ich mir eine Blasenentzündung – oder ähnliches – zugezogen. Diese sorgte harndrangbedingt für immer häufigere Laufpausen. Bei diesen wurde ich zwar oft nur wenige Tropfen los, dennoch waren die Pausen eine schmerzhafte und blutige Angelegenheit. Bei diesem Problem verlor die Frage, ob die „Stadt Lindenfels“ heute vor oder nach mir in den Tag gestartet war, an Bedeutung. Die Augen hielt ich dennoch offen;-)

Dann kam, was kommen musste: In einer weiteren Zwangspause hörte ich ein mir vertrautes Motorengeräusch. Ich dreht mich um… und sah vor mir die „Stadt Lindenfels“! Täuschte ich mich, oder erinnerte der Anker nun an ein triumphierend geschwungenes Lächeln? Impulsiv wollte ich das Rennen aufnehmen. Schließlich hatte ich doch die etwas höhere Grundgeschwindigkeit. Und wenn ich mir keine Pause mehr gönnen würde… Doch etwas in meinen Händen gemahnte mich, dass ich es ohne Pausen nicht mehr schaffen würde. Demoralisiert musste ich mir meine blutige Niederlage eingestehen und ließ die „Lindi“ ziehen.

Erschöpft trabte ich weiter, schaffte manchmal nur wenige hundert Meter zwischen zwei Zwangspausen. „Irgendwas war doch da noch…“, ging es mir durch den Kopf. „Was war denn da noch?“. Dann fiel es mir wieder ein! Mit neuer Energie und voller Vorfreude lief ich auf eine besondere Sehenswürdigkeit zu: Das Schiffshebewerk Lüneburg in Scharnebeck! In diesem zweitgrößten Schiffshebewerk Europas können Schiffe bis 100 Meter Länge in zwei Trögen eine Höhe von 38 Metern überwinden. Stelle dir einen riesigen Fahrstuhl vor, in dem nicht nur Schiffe, sondern auch eine Menge Wasser hoch- und runterfahren. Beeindruckend, oder? Auf jeden Fall ein Wunderwerk der Technik, das die „Stadt Lindenfels“ nicht so schnell passieren kann:-) Bei meiner Ankunft am Hebewerk schwamm Sie ruhend davor.

Nun siegesgewiss, machte ich einige Fotos vom Hebewerk: Nahm mir vor, dieses „nach Corona“ in Ruhe zu besichtigen und die letzten Kanal-Kilometer in Angriff. Hier änderte sich noch einmal die Landschaft, vom Kanaldeich aus genoss ich tolle Fernblicke über flache norddeutsche Landschaften. Gönnte mir in frühlingshaft warmer Sonne Sitzpausen auf dem Deich. Und erblickte schließlich das Hochwassersperrtor Artlenburg, hinter dem sich Elbe-Seitenkanal und Elbe verbinden.

Bei meinen Touren ist die Ankunft immer ein berührender, fast magischer Moment: Ich erreiche stolz mein Ziel, für das ich einige Anstrengungen und Herausforderungen überwinden musste. Gleichzeitig ist es ein schmerzhafter Moment des Abschieds. Abschied vom Weg, Abschied von der Reise. Diesmal kam ein immer stärker werdender Schmerz in der Körpermitte hinzu, der meinen Zielgenuss deutlich trübte. Dennoch: Alles in allem war es eine wundervolle Tour und sicher nicht die letzte Wasserstraße, die ich unter die Füße genommen habe.

PS: Ich hätte mich gar nicht so beeilen müssen: Wie ich später online recherchierte, stand die „Stadt Lindenfels“ auch am Tag nach meiner Heimkehr noch am Schiffshebewerk;-)